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Bedürfnisantriebe und Emotionen

Warum ist der menschliche Geist gewöhnlich fast pausenlos aktiv?
Was verursacht geistige Unruhe, selbst dann, wenn man Ruhe sucht oder meditieren möchte?

Die inneren Antriebskräfte verstehen

In jeder menschlichen Persönlichkeit sind zwei grundlegende Antriebskräfte wirksam:

  • Einer davon zieht uns nach außen in die Welt der sinnlichen Erfahrungen und Objekte. Dieser Antrieb dominiert gewöhnlich aufgrund unserer Identifikation mit dem Instrument der Persönlichkeit. Beispielsweise werden durch Identifikation mit dem physischen Körper dessen Bedürfnisantriebe (Grundbedürfnisse, instinkthafte Antriebe) äußerst dominant, indem sie den Geist binden und zu gewissen Bedürfnisbefriedigung antreiben.
  • Ein zweiter Impuls zieht uns nach innen, zur Essenz unseres Wesens. Es ist das Licht des reinen Selbst, das, wenn auch stark abgeschwächt, durch die Trübungen und Schleier des Geistes hindurchschimmert.
    Es ist ein stiller innere Ruf, die Erinnerung an die Vollständigkeit unseres wahren Selbst als ein Wesen reinen Bewusstseins. Am ehesten lässt sie sich als eine tiefe innere Sehnsucht nach Vollständigkeit, Friede, Freiheit und wahrer Freude beschreiben.

Die Tiefen des Ozeans und die Wellen an der Oberfläche

Gewöhnlich sind wir uns allein des oberflächlichen Geistes bewusst, jenes Teils, den wir für unser sogenanntes rationales Denken benutzen: das Wachbewusstsein. Doch dieser oberflächliche Geist ist nur ein winziger Teil des Ozeans des Geistes. Wenn man am Strand sitzt und die Wellen beobachtet, wäre es falsch anzunehmen: 'Ich kenne den Ozean!'

Der unbewusste Geist ist jener ausgedehnte und tiefe Bereich des Ozeans, den man vom Strand oder in einem kleinen Boot an der Oberfläche nicht wahrnehmen kann. Dieser unbewusste Geist beinhaltet viele verschiedene Schichten und verborgene Dinge. Darunter befinden sich all die gewöhnlich unbewussten Antriebskräfte, emotionalen Tendenzen, der Erinnerungsspeicher mit allen angesammelten Eindrücken (samskaras). Irgendwo in der Tiefe des Ozeans unseres Geistes formen sie untergründige Strömungen und Bewegungen, während wir an der Oberfläche nur die oberflächlichen Wellen erkennen, von denen wir im Leben hin- und hergeworfen werden.

Die Ursache der Unruhe des Geistes sowie der Ablenkungen in der Meditationspraxis liegen in diesen tiefen Schichten des unbewussten Geistes.

Ablenkungen in der Meditationspraxis

Wenn man sich zur Meditation setzt, sich entspannt und den Geist auf einen bestimmten Inhalt sammelt, werden sich viele Übende der beständigen Bewegung im Geist und der Vielfalt an Ablenkungen erst richtig bewusst. Sobald man beginnt, den oberflächlichen Geist zu entspannen, beginnen die tieferen, sonst verborgenen Inhalte aufzusteigen und an die Oberfläche zu kommen.

Und da wir vorwiegend außenorientiert sind, d.h. auf sinnliche Aktivität konditioniert sind, ziehen diese aufsteigenden Inhalte die Aufmerksamkeit an und sie lenken uns von unserem Meditationsfokus ab. Diese Ablenkungen sollte man jedoch nicht als Störungen betrachten, sondern als ein wichtiges Übungsfeld in der Entwicklung seiner Praxis. Hier beginnt der innere Forschungsprozess, in dessen Verlauf man allmählich lernt, diese oberflächlichen Störungen tiefer nach innen zu verfolgen, um schließlich die Ursachen dieser Störungen aufzudecken und zu bereinigen.

Alle ablenkenden Gedanken, Bilder, Erinnerungen, Phantasien etc. entstehen aus unbewussten emotionalen Spannungen. Doch man sollte nicht meinen, dass diese Emotionen negativ, zu vermeiden oder zu überwinden sind. Emotionen sind Teil unserer menschlichen Natur, es geht nicht darum, sie loszuwerden. Es geht allein um die Frage, wie man mit ihnen umgeht. Dies lernt man im Verlauf der systematischen Entwicklung der Grundlagen und der vertiefenden Schritte in der Meditationspraxis.

Die Grundbedürfnisse:  vier 'primitive' Antriebsquellen

Alle emotionalen Antriebe haben wiederum ihre Grundlage in den vier primitiven Antriebsquellen. Es sind die instinkthaften Grundspannungen des Selbsterhalts, des Dranges nach Nahrung, Schlaf und Sexualität. Diese vier Grundbedürfnisse hat jeder Mensch mit der Tierwelt gemeinsam. Doch zwischen Tier und Mensch gibt es einen Unterschied:

  • Tiere werden von ihrer instinktiven Natur vollständig kontrolliert - sie leben ausschließlich auf Basis ihrer instinkthaften Antriebe
  • Menschen besitzen Intelligenz, Unterscheidungskraft - und damit die Möglichkeit, sich selbst zu kontrollieren. Wir sind fähig, uns für ein bestimmtes Verhalten zu entscheiden - d.h. eine Wahl zu treffen. Daher ist der Mensch auch für sein Handeln verantwortlich (Karma-Prinzip).

Diese vier Grundspannungen äußern sich in Form von emotionaler Antriebe. Momentan ausgelöste, d.h. aktive emotionale Antriebe erzeugen vielfältige Bewegungen (vrittis) an der Oberfläche des Geistes (dem Wachbewusstsein) - er ist dann unruhig. In der Meditation fühlen wir uns dann von dem scheinbar unaufhörlichen gedanklichen Verkehr überwältigt.

Diese emotionalen Antriebskräfte und die ihnen zugrunde liegenden instinkthaften Grundspannungen sollten gründlich erforscht und verstanden werden. In Verbindung mit der richtigen Übungsmethodik wird es möglich, diese Energien allmählich zu verfeinern und in konstruktive Richtungen zu lenken.

Die emotionalen Grundströmungen

Sämtliche emotionalen Antriebe entstehen also aus diesen vier primitiven Antrieben. Gefiltert durch den individuellen Erfahrungshintergrund (samskaras) erhalten sie ihre individuelle emotionale Ausprägung.

Die Yoga-Psychologie beschreibt sieben emotionale Grundströmungen.

Verlangen - die primäre Emotion

Aus den vier Grundspannungen entsteht Verlangen (kama) als der primäre Antrieb für alles Handeln. Verlangen ist die Quelle aller Wünsche und aller anderen Emotionen. Es motiviert, treibt uns an, etwas zu unternehmen, um dieses Bedürfnis zu befriedigen.

Fünf sekundäre Emotionen

Die Befriedigung eines Verlangens erfahren wir als ein Vergnügen - diese Erfahrung von Befriedigung und Vergnügen führt dann zu weiteren Emotionen:

  • hat man erreicht, wonach man verlangt hat, entsteht Stolz (mada)
  • zugleich entsteht Anhaftung (moha), das Gefühl 'Das ist meines!'
  • und das Verlangen nach mehr - die Gier (lobha).

Hier sollte man verstehen:  nicht Besitz ist das Problem, es hängt immer davon ab, wie man ihn nutzt. Probleme entstehen aus der Anhaftung und der nie endgültig zu befriedigenden Gier nach mehr.

Nichterfüllte Bedürfnisse bzw. Wünsche (Verlangen)

  • bilden die Quelle von Frustration, Wut, Ärger (krodha)
  • und besitzt jemand anderer, was man selbst gerne haben möchte, entstehen Neid, Missgunst und Eifersucht (matsarya).

Aus diesen beiden formen sich alle Antriebe der Ablehnung, von Hass, Rache etc. - bis hin zu offener Aggression, dem Wunsch, zu verletzen und seine Bedürfnisse gewaltsam durchzusetzen, bzw. sein Unglück, seinen Schmerz auf andere abzuladen.

Im Prozess der Selbsterforschung entdeckten die Yogis:

wenn du nicht bekommst, was du willst - leidest du -
wenn du bekommst, was du nicht willst - leidest du -
wenn du bekommst, was du willst - dann leidest du auch -
aufgrund der Angst vor Verlust und der Vergänglichkeit aller Dinge.

Egal ob sich unsere Wünsche erfüllen oder nicht - wir leiden immer.

Egoismus

Egal ob Wünsche erfüllt oder nicht erfüllt werden, beides stärkt die Ichbezogenheit, den Egoismus - das beständige Kreisen um 'Ich, ich, ich ...'. Solange dieses emotionale Ego dominiert, ist es nicht möglich, sein wahres Selbst zu erkennen.

Yoga fasst Egoismus, den emotionalen Ichbezug, als eine zweite primäre Emotion auf. Dieser Ichbezug wird zum Mittelpunkt unseres Lebens - und bildet auch das Zentrum der Unruhe des Geistes in der Meditation.

Diesen Ego-Prozess, die Emotionen und die vier Grundspannungen sollte man in sich selbst genau studieren und erforschen.

(Samvid)

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