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Zentrale Lehren der Tradition

Die Himalaya-Tradition der Yoga-Meditation verbindet die Weisheit der Yoga-sūtras von Patañjali, die Philosophie und Praxis der Tantras sowie die spezifischen mündlichen Anweisungen und initiatorischen Erfahrungen, weitergereicht durch eine lange Linie von Meistern des Yoga. Die Tradition vermittelt ein einheitliches System, in dem alle Teile integriert und miteinander verbunden sind.

Reinigung der Gedanken und Emotionen

Um in der Meditation innere Störungen infolge außenorientierter Gedanken und Empfindungen zu vermeiden, ist es notwendig, geistige Reinigungspraktiken durchzuführen wie:

  • die fünf Yamas:
    Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, Enthaltung von schwelgerischer Sinnlichkeit, Freisein von Besitzgier -
    sowie die fünf Niyamas:
    Reinheit, Zufriedenheit, die Praktiken, die zur Vervollkommnung von Körper, Geist und Sinnen führen, Studium, das zur Selbsterkenntnis führt, Hingabe an die höchste Wirklichkeit,
  • die vier Brahmaviharas oder rechten Einstellungen:
    Freundlichkeit gegenüber den Glücklichen, Mitgefühl mit den Unglücklichen, Freude mit den Tugendhaften sowie Gleichmut gegenüber den Boshaften (Yoga-sutras I.33),
  • die Gegenmittel für störende Gedanken, Pratipaksha-bhavana (YS II.33), um die den Yamas, Niyamas und Brahmaviharas entgegengesetzten Gedanken und Einstellungen (vitarkas) zu lösen.

Diese Praktiken führen zu:

  • ethischem Verhalten
  • daraus resultierend die Lockerung der Fesseln des Karma
  • Citta-prasadana, Klarheit und Reinigung des Geistes - der Geist wird harmonisch und klar
  • und Sthiti-nibandhana, physische und psychische Stabilität sowie Beständigkeit im Leben und in der Meditation.

Das ist alles nicht so einfach, wie es vielleicht scheint. Die Lehrer der Himalaya-Tradition sagen beispielsweise, dass sie in der Lage sind, viele Stunden in einer Sitzhaltung zu verweilen, weil:

  • sie emotional stabil und frei von Störungen sind
  • sie spezielle Mantras und tantrische Konzentrationsübungen praktiziert haben, nachdem sie in muladhara-cakra initiiert wurden. Nur das Lesen gelehrter Kommentare zu den Yoga-sutras über die Asanas (Körperhaltungen) wird keinem Schüler helfen, einen derartigen Zustand zu erlangen. Man muss dem gesamten integralen System folgen.
  • Ein weiterer Aspekt der Reinigung ist die Überwindung der neun Störungen (vikshepas) auf dem Weg zur Konzentration: Krankheit, geistige Trägheit, Zweifel, Nachlässigkeit, Faulheit, Festhalten an sinnlichem Vergnügen, irrige Wahrnehmung, Unfähigkeit zur Konzentration und Unbeständigkeit im Halten der Konzentration (YS I.30) -
    sowie deren Begleiter: Schmerz, Niedergeschlagenheit, Unruhe des Körpers und unregelmäßige Atmung
    (YS I.31).

Ohne derartige Reinigung bleibt man an die ersten drei Zustände des Geistes gebunden:
unruhig (kshiptam), dumpf (mudham), abgelenkt durch Störungen (vikshiptam).

Dann ist man nicht in der Lage, die nächste Stufe zu erreichen:
einen einpunktig konzentrierten Geist (ekagram) - und schließlich in Samadhi vollständige Kontrolle des Geistes (niruddha).

Um diese Störungen zu überwinden, werden in der Himalaya-Tradition spezielle Methoden mündlich überliefert:

  • Methoden der Reinigung der Emotionen
  • bestimmte Mantras 
  • und Meditation in der Gegenwart des Lehrers, der dem Schüler hilft, seinen Geist zu stabilisieren.

Achtsamkeit

Wie in den Yoga-sutras (YS I.20) gelehrt, nimmt die Praxis des Smriti-upasthana (buddhistisch Sati-patthana) viele verschiedene Formen an. Die Einzelheiten werden in persönlicher Unterweisung vermittelt. Beispielsweise lehrt die Tradition die Praxis der Asanas mit Selbstwahrnehmung als einer wesentlichen Komponente, das tiefe Beobachten aller Zustände des Körpers, des Atems und insbesondere des Geistes.

Atemgewahrsein

Sie beginnt als Teil der Achtsamkeitspraxis und wird dann als erster Schritt der Meditationsschulung weiter vertieft (YS I.34). Hierfür ist es wichtig, eine ruhige Zwerchfellatmung zu entwickeln, die langsam, sanft, gleichmäßig und ohne Pausen zwischen den Atemzügen fließt.

Zu Praktiken wie Kumbhaka (Halten des Atems) wird im Himalaya-System der Yoga-Meditation nicht animiert. Hier werden Übende gelehrt:

  • in solcher Weise zu atmen, dass Meditation gefördert wird
  • das Fließen des Atems zu beobachten (hier gibt es viele Varianten)
  • die gewählte Technik über längere Zeit beizubehalten und nicht zu verändern
  • und darauf zu warten, bis die natürliche Stille des Atems (kevala-kumbhaka) von selbst entsteht. Dies tritt ein, sobald der Geist, eng verwoben mit dem sehr subtilen Atem, still wird und dadurch den Atem selbst in einen Zustand der Stille führt.

Die Praxis des Atemgewahrseins verzweigt sich in viele andere Formen der meditativen Erfahrung. Beispielsweise:

Nadi-shodhana

die Reinigung der feinstofflichen Energiewege - zusammen mit

Bhastrika

die sog. Blasebalgatmung.

Beide werden in einer Reihe von Variationen praktiziert.

Pratyahara (Rückzug der Sinne)

ist die am wenigsten verstandene Komponente des Yoga. Folgt man dem sutra (YS II.54), bedeutet es:

  • zuerst beruhigt man den Geist
  • dann verschmelzen die Sinne in den ruhigen Geist, und damit
  • beruhigen sich die Sinne.

Dies wird konkret durch bestimmte Atemübungen bewirkt, bei denen das Gewahrsein auf die Hülle der vitalen Energien (pranamaya-kosha) ausgerichtet ist. Mit Hilfe eines kompetenten Lehrers spürt man die Bewegung des subtilen Prana-Stroms zwischen verschiedenen Punkten im Körper, in einer systematischen Folge, bis:

  • der physische Körper vergessen wird
  • das Gewahrsein der Prana-Hülle sich vertieft
  • und sobald Prana beginnt, sich mit seinem Ursprung in Manomaya-kosha (mentale Hülle) zu verbinden, beruhigt sich der Geist und die Sinne werden still.

Der nächste Schritt von hier ist Yoga-nidra (bewusster Yoga-Schlaf - nicht zu verwechseln mit einfachen Entspannungspraktiken in Shavasana, die häufig als Yoga-nidra bezeichnet werden).
Man hat jetzt die Wahl, die weiteren Schritte Richtung Yoga-nidra zu gehen oder in Richtung vertiefter Meditation. Oder man praktiziert beide, sofern genügend Zeit dafür gegeben ist.

Kundalini-Atmung

Die Wahrnehmung eines Energieflusses in der Wirbelsäule ist der erste Schritt auf dem Weg des Tantra. Zuerst stellt man es sich vor, später fühlt man tatsächlich, wie der (subtile) Atem durch die Wirbelsäule fließt.

Viele nicht initiierte Lehrer versuchen heutzutage, Cakra-Erweckung zu lehren, ohne zuvor dieses Sumeru-pranayama gemeistert zu haben. Diese Erfahrung der Sumeru-Atmung lässt sich nicht vermitteln, solange man nicht von einem Meister darin initiiert wurde.

Sagarbha-pranayama

Allgemein versteht man darunter die Praxis von Kumbhaka zusammen mit mentaler Konzentration auf ein Mantra. Im Himalaya-System bedeutet es das Mantra-Gewahrsein zusammen mit dem Gewahrsein des Fließens des Atems - auf verschiedenen Ebenen. Auch dies wird in Form von Initiationsprozessen vermittelt. Mehr hierzu bei Japa.

Japa

Japa ist nicht nur das mechanische Rezitieren eines beliebig ausgewählten Mantras. Die Mantra-Wissenschaft beruht auf einem Verständnis der Klangschwingungen, die ursprünglich in verschiedenen Stadien der Kundalini zentriert sind. Ohne Initiation können diese nicht erfasst werden.

Der eigentliche Zweck des Japa ist, in die höchste Stille zu finden. Erst absorbiert man die Ebene artikulierter Sprache (vaikhari) in die mentale Ebene (madhyama). Dann bringt man auch die mentale Ebene zur Stille und findet Zugang in den Bereich von Pashyanti, der Schwingung der Offenbarung. So wird man selbst zu einem Kanal der Offenbarung. Von dort aus geht man in die höchste Absorption in Para, dem Transzendenten, dem vollständigen Wissen wie es im Göttlichen Prinzip existiert.

Ein in der Himalaya-Tradition ausgebildeter Lehrer führt die Schüler durch die zunehmenden Verfeinerungen der neun Hauptstufen der Mantra-Praxis, wie sie in tantrischen Systemen gelehrt wird.

Hier einige der Varianten der japa-Praxis:

  • das Mantra zusammen mit dem Gewahrsein des Atemstroms praktizieren
  • das Mantra praktizieren im Ausführen täglicher Aufgaben wie Kochen, Lesen oder Schreiben
  • auf sein Mantra im Geist oder im Herzzentrum (anahata-cakra) lauschen
  • Mantra verbunden mit Sumeru-Atmung praktizieren
  • das Mantra in den Bija-Punkt eines bestimmten Cakras verschmelzen -
    und dann beobachten, wie es von dort wieder aufsteigt
  • das Mantra in die geistige Kammer der Stille führen und beobachten, wie es aus dieser Stille wieder aufsteigt
  • das Mantra in den inneren Klang des Bhramara-guha ('Höhle der Bienen') verschmelzen lassen und wiederum beobachten, wie es von dort wieder hervortritt
  • das Mantra für geistige Verehrung in den inneren Tempeln verwenden (manasa-puja)
  • die Bedeutung des eigenen Mantras kontemplieren, und dann diese Kontemplation verbinden mit
    - Manana, der vedantischen Kontemplation der Mahavakyas (der 'großen Sätze' der Kontemplation)
    - oder mit der Praxis des inneren Dialogs, einer spezifischen Methode der inneren Reinigung
  • das Mantra als Bhakti-Erfahrung nutzen, für Hingabe und stilles Gebet, und auf diese Weise den Pfad des Bhakti-yoga, Japa-yoga und Dhyana-yoga miteinander verbinden.

Es gibt noch viele andere Methoden zur Verwendung des Mantras, die jedoch von einem erfahrenen Lehrer vermittelt werden müssen, der nicht nur die Methode lehrt, sondern auch den Geist und die Energie des Schülers durch seine eigene Kraft anleiten kann. Dies bedeutet, er initiiert den Schüler in diese Praxis.

Shavasana-Praxis (Methoden der Tiefentspannung)

Shavasana-Praktiken dienen als Methoden des Eintretens in den subtilen Körper. Diese inneren Übungen sind sehr detailliert und komplex, sie gehen weit über reine Entspannung hinaus. Sie können auf der Ebene des Annamaya-kosha (des physischen Körpers), des Pranamaya-kosha (der vitalen Hülle) oder des Manomaya-kosha (der mentalen Hülle) systematisch aufbauend geübt werden.

Die letzten Stufen in Shavāsana sind verschiedene Ebenen des Yoga-nidra. Man kann Yoga-nidra zum Beispiel dazu nutzen, um:

  • Schlaf zu ersetzen
  • sich selbst zu heilen
  • Sprachen zu lernen, sich mühelos Sutras einzuprägen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, philosophische oder persönliche Probleme zu lösen, spontan Poesie zu dichten oder Pläne auszuarbeiten (YS I.38)
  • die Kunst des Sterbens zu meistern
  • in Samadhi einzutreten.

All diese Möglichkeiten erfordern sowohl die korrekte Methode wie auch die Gnade der Initiation.

Dharana

Konzentration (YS III.1) und die daraus resultierenden Erfahrungen (YS I.35-36). Ein erfahrener Lehrer der Himalaya-Tradition ist in verschiedenen Methoden der Konzentration geschult:

  • auf verschiedene Bereiche im physischen Körper
  • auf die Cakra-Punkte
  • in den Tattvas (Entfaltungsprinzipien), und so weiter.

Das Vijnana-bhairava-tantra lehrt hundert verschiedene Wege, durch die ein veränderter Bewusstseinszustand hervorgerufen werden kann. Das Malini-vijayottara-tantra führt annähernd 1300 Dharanas an. Diese Auflistungen sind nicht vollständig.

Ein in der Himalaya-Tradition ausgebildeter Lehrer muss die grundlegenden Zugänge und Ausgänge all dieser Konzentrationen kennen, auch wenn er persönlich sie noch nicht alle praktiziert hat.

Dhyana

die individuell geeignete und korrekt durchgeführte Meditation. Alle bisher beschriebenen Methoden sind integrale Bestandteile der Annäherung zur Meditation. Doch wirkliche Meditation beginnt auf der Ebene des Manomaya-kosha. Es gibt viele Möglichkeiten, in diese Hülle zu finden, wie zum Beispiel durch:

  • Verfeinerung des Japa
  • subtilere Stufen des Atemgewahrseins
  • Konzentrationen
  • Initiation
  • im Falle eines weiter fortgeschrittenen Schülers kann ein Guru den Geist des Schülers einfach auf eine höhere Meditationsstufe ziehen. Wie weit eine solche Übertragung der Gnade führen kann, hängt von der Entwicklungsstufe des Lehrers ab. Hat ein Lehrer einen Schüler so weit geführt, wie seiner eigenen Entwicklungsstufe entspricht, übergibt er diesen Schüler dem weiter entwickelten Lehrer.

Diese Auflistung der Methoden der Himalaya-Tradition ist keineswegs vollständig.

(aus: 'The Himalayan Tradition of Yoga Meditation' von Swami Veda Bharati)

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