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Drei Abschnitte des Yogaweges

Die Yoga-Tradition der Himalayas beruht im Wesentlichen auf der Integration dreier Lehrebenen:

  • des Yoga-shastra - dessen Essenz wird in Patanjali's Yoga-sutras dargelegt -
  • des nichtdualen Vedanta -
  • und des höheren nichtdualen Tantra.

Diese Lehren unterscheiden sich allein darin, dass sie die innere Wirklichkeit verschieden umfangreich beschreiben.

Zusammen bilden sie einander ergänzende und erweiternde Sichtweisen - wie verschiedene Teile einer Landkarte. Zusammen ermöglichen sie die Realisierung des reinen Bewusstseins. Sie führen durch die Schichten unseres Wesens (koshas) bis zur direkten Erfahrung des Zentrums des reinen Bewusstseins, der höchsten Verwirklichung.

Diese drei Systeme von Yoga, Vedanta und Tantra fließen in einen Strom zusammen.

Yoga

Der Yoga-shastra, das uralte, mündlich überlieferte Yoga-Wissen, dessen Essenz von Patanjali in den Yoga-sutras zusammengefasst wurde, bildet die Grundlage des Weges. Er beinhaltet das gesamte nötige Grundlagenverständnis (Yoga-Psychologie) sowie die praktischen Unterweisungen zum Zweck der Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung.

Im Mittelpunkt der Yoga-sutras steht die Reinigung und Schulung des Geistes. Sie vermitteln,

  • wie man im Leben eine Wahl trifft und sich für das Förderliche entscheiden lernt
  • wie man durch Schulung seines Geistes die inneren Dimensionen erschließen kann.

Durch den Praxisweg der Yoga-sutras können Aspiranten (adhikarin) u.a. lernen,

  • den Geist systematisch von allen hinderlichen Einschränkungen zu reinigen
  • inneres Bewusstsein und begrenzende Identifikationen zu unterscheiden.
    Man entwickelt innere Losgelöstheit (vairagya) und unterscheidende Weisheit (viveka) - und löst sich so allmählich aus der Umklammerung seiner emotionalen Tendenzen - von Anhaftungen, Aversionen, Ängsten, begrenzenden Vorstellungen etc.
  • hieraus resultiert die Fähigkeit der Konzentration und Meditation (dharana, dhyana) -
    und schließlich zu unabgelenkter Sammlung des Geistes (ekagrata).

Den Kern der Praxis der Yoga-sutras bilden die Methoden der Yoga-Meditation.

Patanjalis Yoga-sutras bilden, zusammen mit der Samkhya-Philosophie, quasi das Alphabet des Yoga-Weges. Ohne Meisterung dieses Alphabets wird der Zugang zu den weiterführenden Ebenen verschlossen bleiben.

Nichtdualer Vedanta

Die vertiefende kontemplative Meditation des nichtdualen Vedānta (Advaita-vedānta) erschließt ein tiefgründiges Verständnis für die transzendente Grundlage reinen Bewusstseins - jenseits der dualistischen Wahrnehmung.

Die kontemplative Selbsterforschung des Vedanta ist ein Prozess tiefer innerer Einsicht. Durch sie wird die Beziehung des spirituellen Selbst (atman) zum umfassenden Absoluten aufgedeckt und letztlich das reine Bewusstsein der absoluten Wirklichkeit enthüllt.

Höherer Tantra

In der rein internalisierten Praxis des Samaya-shri-vidya-tantra werden alle inneren Energien zurückverfolgt zur subtilsten Quelle reiner Bewusstseinsenergie.

Shiva und Shakti - die Vater- und Mutter-Prinzipien des Kosmos - werden als Manifestationen der nichtdualen Wirklichkeit gesehen - als untrennbar eines. Maya wird hier nicht als Hindernis, sondern als die kreative Aktivität des Mutter-Prinzips (Shakti) erkannt.

Hier wird die Methodik für die letzten Schritte vermittelt:  die Erfahrung der Befreiung durch Erweckung der kundalini. Dies wird erreicht durch Yoga-nidra, die kundalini-Praxis der Tantras, der intensiven Widmung und Hingabe an die höchste Wirklichkeit u.a.

Mit ihrer Hilfe durchbricht der Aspirant die letzten Hindernisse und findet zum Ende des Weges.

Zusammenfassend

Die Yoga-Tradition begreift die Lehren und die Praxis des Yoga, Vedanta und Tantra als einander ergänzende Sichtweisen und Praxisformen - als verschiedene Abschnitte einer Landkarte. Gemeinsam ermöglichen sie systematisch Fortschritt auf dem Weg zur höchsten Verwirklichung:

  • auf der Grundlage der Yoga-sūtras klären Aspiranten des Weges ihren Geist durch die Praxis der Yoga-Meditation. Sie entwickeln Losgelöstheit (vairagya) und unterscheidende Weisheit (viveka). Dieser Prozess der Reinigung wird begleitend unterstützt durch die Methoden der Hatha-Praxis
  • sie praktizieren die Methoden der tiefen kontemplativen Selbsterforschung des Vedanta und erschließen so für sich die transzendente Wirklichkeit
  • und sie durchbrechen die letzten Hindernisse mit Hilfe der speziellen Praxis des Samaya-shri-vidya-tantra - durch Erweckung der kundalini.

Zur Praxis dieser drei Abschnitte des Weges
Eine stark verkürzte Darstellung

Yoga-sutras

Man entwickelt die Grundlagen - wie systematische Entspannung, achtsame Wahrnehmung usf.

Man reinigt und stabilisiert den getrübten, 'verdunkelten' Geist durch

  • das Kultivieren der (sattvischen) Eigenschaften wie Nichtverletzen, Wahrhaftigkeit, Nicht-Festhalten, Zufriedenheit, Ausdauer, Studium und vertrauende Hingabe (yama-niyamas)
  • Meditation auf die Qualitäten der freundlichen Zuwendung und Akzeptanz, des unterstützenden Mitgefühls, der heiteren Gelassenheit und des Gleichmuts (brahmaviharas)
  • und durch die Meditationsmethoden, die der Abschwächung der leidverursachenden Hindernisse (kleshas) dienen - der Unwissenheit, Egozentriertheit, Anhaftung, Aversion und Angst.

Durch die so erreichte Fähigkeit der Konzentration, Meditation und Integration (samādhi) erschließt man systematisch die inneren Dimensionen, und wird fähig, sich aus sämtlichen begrenzenden Identifikationen zu befreien - durch Losgelöstheit (vairagya), konsequente Praxis (abhyasa) und die Entwicklung von Unterscheidungskraft (viveka).

Man realisiert so innere Freiheit und Unabhängigkeit (kaivalya).

Vedanta

Man beobachtet und erforscht gründlich die vier Funktionen des Geistes:

  • Manas, den Koordinator der Wahrnehmungen, Denkprozesse und Handlungen -
  • Ahamkara, die Instanz der Interaktion eines abgegrenzten 'Ich' mit äußeren Objekten -
  • Buddhi, die höhere geistige Instanz intuitiver Erkenntnis, der Weisheit, der Unterscheidung und Entscheidung -
  • Citta, das Geistfeld als den Speicher aller Erfahrungen (samskaras) und Handlungen (karmas).

Mittels kontemplativer Meditation erforscht man die drei Bereiche des Bewussten, Unterbewussten und Unbewussten - des Groben, Subtilen und Kausalen - bzw. des Wachens, Schlafens und Tiefschlafs.

Durch Kontemplation auf das Zentrum des Bewusstseins (ātman) ergründet man die Frage 'Wer bin ich?' in direkter Erfahrung. Dieses Zentrum des Bewusstseins wird letztlich als identisch mit dem absoluten Seinsgrund, Brahman, erkannt.

Tantra

Man lernt, die inneren Energieströme auszugleichen, die prana-Ströme der beiden Körperseiten, das 'ha' und 'tha' des Hatha-yoga.

Man lernt, sushumna, den zentralen Energiestrom, zu öffnen - und erlaubt den latenten Energien, zu erwachen und in diesem Kanal aufwärts zu fließen zu ihrem Ursprung.

Dies wird begleitet durch tiefe Meditation auf die reine Natur der Bewusstseinsenergie (Shakti) und ihre Präsenz in in allen Erscheinungsebenen und Formen der 'drei Welten'.

Man praktiziert intensive Widmung und Hingabe an die höchste Wirklichkeit - und ist dabei bestrebt, die in allem präsente ursprüngliche Einheit von Shiva und Shakti zu realisieren. So wird letztlich das nichtduale Bewusstsein verwirklicht - sowohl in der Stille wie in der Aktivität.

Vollendung

Man ist bestrebt, in direkter Erfahrung das zu erkennen, was jenseits all dieser Begriffe, Namen und Formen ist - das, worin jedes dieser Systeme einfließt in eine immerwährend existente Vollständigkeit. Obgleich nicht mit Worten beschreibbar, bezeichnet man es aus praktischen Gründen als Sat-cit-ananda:
existentielles Sein - reines Bewusstsein - transzendente Freude des Vollständigseins.

Diese direkte Erfahrung ist das Ergebnis des Rückzugs des Bewusstseins in sushumna - dem zentralen Energiestrom.

Im Verlauf dieses Rückzugs fallen alle Erfahrungen gleichsam 'in einem Punkt zusammen' - dem Punkt, aus dem sie ursprünglich entstanden sind. Dieser Punkt wird als Bindu bezeichnet und in manchen Texten mit einer Perle verglichen. Dieser Bindu bildet das Ende der subtilsten Aspekten des Geistes - das Ende von Zeit, Raum und Verursachung. Er ist das Tor zum Absoluten. Jenseits davon sind Geist und seine Inhalte transzendiert.

Ein gründliches Verständnis all dieser Prinzipien ist essentiell für die fortgeschrittene Meditation.

bindu 200

bindu yoga · meditation

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