Yoga-nidra - die Stille verfeinern
von Swami Veda Bharati
Auszüge aus dem Vortrag 'Yoga-nidra - Refined Silence', Rishikesh, Indien, 2004
Warum schlafen wir?
Shankaracarya sagt, dass jeder von uns Ananda ist, ein Wesen vollständiger Freude. Ich bin sicher, ihr kennt diese drei Begriffe, die oft benutzt werden: Sat-cit-ananda. Sat - wirkliches Sein. Cit - Bewusstsein, die Bewusstheit des Seins, oder einfach die Macht genannt Bewusstsein. Und Ananda, Purnam, Vollständigkeit, Freude, Seligkeit, Vollständigkeit der Freude. Alles Vergnügen der Welt sind nur kleine Tropfen des Ozeans von Ananda, und jeder Tropfen versucht zu erfahren, wie es sich anfühlt, der gesamte Ozean zu sein. Jeder Tropfen, das sind du und ich, versucht zu erfahren, wie es ist, dieser gesamte Ozean von Freude und Seligkeit zu sein.
Wir glauben durch Steigerung unserer weltlichen Vergnügungen diese vollständige Freude zu finden, doch das ist niemals der Fall. Wieviel weltliches Vergnügen wir auch immer erleben, ob die Freuden des Körpers, des Geistes, oder der Besitztümer, es ist niemals genug, niemals wirklich zufriedenstellend. Also muss es einen anderen Weg geben um herauszufinden, wie es sich anfühlt, dieser Ozean von Ananda zu sein. Wir alle sind kleine Funken, die sich danach sehnen, das universale Feuer zu sein. Doch wir haben damit keinen Erfolg.
Ein bekanntes Prinzip in allen spirituellen Philosophien besagt, dass man dieses innere Ananda nicht sein Eigen nennen kann, solange man nicht seine auswärtsorientierten Sinne zur Ruhe bringt.
Es gibt einen Zustand von Ananda, der als Schlaf bezeichnet wird. Dies ist jedoch nicht die Definition von Schlaf wie in den Yoga-sutras, sondern hier handelt es sich um die Vedanta-Definition von Schlaf. Schlaf ist unser Bestreben, das Ananda, das wir sind, zu erfahren.
Schlaf ist kein unbewusster Zustand
Die Yoga-sutras sagen aus, dass Schlaf keineswegs ein unbewusster Zustand ist. Darüber habe ich in meinem Kommentar zu den sutras geschrieben. Schlaf ist kein unbewusster Zustand. Wäre es so, meint der große Weise Vyasa, wie könnten wir aufwachen und sagen, 'Ich habe wunderbar geschlafen. Mein Schlaf war so angenehm.' Wie könnten wir uns erinnern, wenn wir unbewusst waren?
Im Schlaf finden wir jenes Ananda, in dem alles in einen Zustand der Auflösung (laya) eintritt. Daher wird auch der Begriff 'Shiva' (der 'Herr der Auflösung', laya) von der Verbwurzel 'shi' (schlafen) abgeleitet.
Doch wozu sprechen wir dann über Samadhi? Der Unterschied zwischen Schlaf und Samadhi ist, dass man sich im Schlaf nicht bewusst ist, dass man in Ananda ist. In Samadhi sind wir uns dessen bewusst, dass wir uns in Ananda befinden.
Meisterung des Schlafs
In der Bhagavad-gita wird Arjuna wiederholt von Krishna als Gudakesha bezeichnet, Meister des Schlafs. Die Meisten glauben das ist der Fall, weil Arjuna so wenig schläft. Doch das ist nicht der wahre Grund. Der wahre Grund ist, dass Turiya, der vierte Zustand, der Ananda-Zustand, der Samadhi-Zustand, nicht eintritt, bevor man nicht die drei niederen Zustände von Wachzustand, Traum und Schlaf (jagrat, svapna, sushupti) gemeistert hat.
Im Schlaf sind die Ebenen des Geistes, die in den Schlaf eintreten, sich nicht des Ananda bewusst, obwohl sie in Ananda sind. Hat man die drei Zustände von Wachzustand, Traum und Schlaf gemeistert, ist man qualifiziert für Turiya. Man ist bereit für diesen nächsten Schritt.
Was also Krishna zu Arjuna sagt ist: Arjuna, du hast den Schlaf gemeistert. Jetzt, da du den Schlafzustand gemeistert hast, seine Geheimnisse verstehst, jetzt, da du den Zustand des Yoga-nidra erlangt hast, jetzt, Arjuna, bist du bereit für die kosmische Sicht des Bewusstseins. Ich sehe dich jetzt als qualifiziert dafür. Du bist ein qualifizierter Sadhaka. Daher werde ich dir den nächsten Schritt der Erfahrung universellen Bewusstseins zeigen.
Man könnte also sagen, dass man, um in Samadhi initiiert zu werden, den Schlafzustand zu meistern hat. Und Meisterung des Schlafzustands bedeutet Meisterung von Yoga-nidra.
Vorbereitung auf Yoga-nidra
Es gibt Bücher und Audios die vorgeben, Yoga-nidra zu lehren. Doch das alles sind nur vorbereitende Übungen für Yoga-nidra. Es gibt in Swami Rama's Buch 'Path of Fire and Light, Vol.2' ein Kapitel über Yoga-nidra, in dem er alle detaillierten Schritte angibt. Nimm fünf Atemzüge bis zu diesem Punkt, nimm zehn Atemzüge bis zu diesem Punkt, und so weiter. Führ dies auf deiner linken Seite liegend aus, führ das auf deiner rechten Seite liegend aus. Wenn du das sorgfältig liest, gibt es am Ende nur zwei Zeilen über echtes Yoga-nidra. Und diese Zeilen definieren nicht, sie deuten nur an. Yoga-nidra selbst kann nicht durch Tonaufnahmen gelehrt werden. Man muss darin eintauchen. Alles in diesem Kapitel ist ebenfalls Vorbereitung. Eine Person darauf vorbereiten, dass sie fähig wird, in Yoga-nidra finden zu können.
Woher weiß man, dass man eine Technik gemeistert hat? Jener Bewusstseinszustand, zu dem eine Technik führen soll, wenn man in diesen Bewusstseinszustand eintreten kann ohne die Technik zu gebrauchen, dann hat man die Technik gemeistert, diesen Bewusstseinszustand gemeistert. Noch einmal: der Bewusstseinszustand, den eine bestimmte Technik dir vermitteln kann - wenn du unmittelbar in diesen Zustand eintreten kannst und diese Technik nie wieder benötigst, dann hast du die Technik gemeistert. Das ist die Definition von Meisterschaft.
Die Höhle im Herzen
Es gibt eine innere Höhle im Herzen. In manchen Übungen wird diese Höhle (guha) betreten und mit Licht gefüllt, sie wird zu einer Höhle des Lichts. Es gibt in der Meditation zwei Zentren des Klanges (nāda). Eines ist anahata-cakra, die Höhle des Herzens, das Zentrum des nicht-angeschlagenen Klanges. Die andere bezeichnen wir als die Höhle der Bienen, Bhramara-guha. Gemäß der Yogis befinde sie sich in der rechten Hemisphäre des Gehirns. In der modernen Gehirnforschung findet man des Musikzentrum ebenfalls in der rechten Hemisphäre. Daher flüstert man auch im Prozess der Initiation das Mantra in das rechte Ohr.
Es gibt Wege, um in diese Höhlen zu gelangen, spezifische Nadis (Energiebahnen). Du führst den Geist durch diese Wege. Dann kannst du eintreten. Wenn du dich außerhalb der Stadt befindest, kannst du die Stadt nicht betreten einfach indem du da sitzt und es dir vorstellst. Du musst den Weg kennen. Jene, die es ohne Straßenplan und ohne Führung versuchen, werden nicht gut zurechtkommen.
Das Zentrum der Meisterung des Schlafs ist in der Höhle des Herzens. Doch es gibt Höhlen innerhalb der Höhlen innerhalb der Höhlen. Die Mandala-brahmana-upanishad spricht von fünf Räumen (akashas), eine innerhalb der anderen. Räume innerhalb von Räumen innerhalb von Räumen. Das Licht und der Klang auf jeder dieser Ebenen unterscheiden sich.
Warum machen wir keine Fortschritte, worin besteht unser Problem? Wenn man kein echtes Bestreben hat, macht man keine Fortschritte. Wenn man danach strebt, unternimmt man etwas dafür. Man tut was zu tun ist, man gibt dafür etwas auf, opfert etwas. Doch viele haben nicht das echte Streben, es wirklich zu erreichen, ihre Zeit dafür zu widmen und sich darum zu bemühen.
Man muss also verstehen, die innere Höhle zu betreten. Diese Höhle ist absolut still und vollkommen dunkel. Darin lösen sich alle Sinne auf. Erinnert euch, dass Yoga-nidra und Laya, die Auflösung des Universums, sehr eng miteinander verbunden sind. Wenn man dort keine Gedanken erfährt, kein Licht, keinen Klang, keine Regung, keine Bewegung, dann ist man dort. Es fühlt sich an, als würde diese Dunkelheit atmen. In dieser absoluten Stille bist du nicht unbewusst. Du bist dir bewusst, dort zu sein. Du bist nicht unbewusst wie im Schlaf. Du bist bewusst in dieser Höhle, und du beobachtest die Tatsache dort zu sein, ohne Worte, ohne Klang, ohne jedes Licht, ohne jede Bewegung, ohne Erinnerung, ohne irgendwelche aufsteigenden Samskaras (Tendenzen). Dann ist es Yoga-nidra.
Aus diesem Laya-Zustand kannst du ein ganzes Universum erschaffen. Du kannst Poesie schreiben, ein Epos verfassen, du kannst das Wissen jedes beliebigen Fachgebiets erhalten - in einer blitzartigen Vision.
Die Ordner schließen
Schüler lernen auswendig, wieder und wieder, und vergessen doch vieles davon. Was bedeutet Vergessen? Nichts ist jemals vergessen. Der Geist erinnert sich selbst daran, dass man mit dem Auge gezwinkert hat. Diese Erinnerung bleibt und wird zu einem Samskara. Selbst wenn das Gehirn zu funktionieren aufhört, das Samskara im Geist bleibt erhalten. Dieses Samskara geht in die nächste Lebensspanne mit. Nichts ist also jemals vergessen. Es ist allein eine Sache, es wieder heraufzuholen. Das Problem besteht nicht im Auswendiglernen. Das Problem liegt in der Erinnerung, im Abruf der Information. Es geht darum herauszufinden, in welchem Programm es abgelegt ist, dorthin zu gehen und die Daten hervorzuholen. Doch wenn man zehntausend Ordner geöffnet hat und man will jetzt Ordner zehntausendundeins öffnen, wird der Computer melden, dass dafür keine Kapazität mehr zur Verfügung steht. Also muss man einige der Ordner schließen, dann kann man jenen Ordner erreichen, zu dem man Zugang haben möchte.
Genau das ist Yoga-nidra: man schließt die Ordner. Ihr könnt nicht einmal den letzten Satz, den ich gesprochen haben, völlig korrekt niederschreiben, da ihr im Gehirn so viele Ordner offen habt. Schließt diese Ordner. In diesem Zustand von Yoga-nidra öffnet man dann jenen Ordner, den man öffnen möchte: 'Ok, wo ist mein Spanisch-Ordner, wo ist mein Italienisch-Ordner, wo ist meine Sanskrit-Akte, wo meine Englisch-Akte?'
Wenn du liest oder studierst, ist die beste Zeit dafür, wenn du wirklich schläfrig bist. Du wandelst die Schläfrigkeit um in Yoga-nidra, dann wird der Eindruck sehr klar sein.
Samskaras
Es wird die Frage gestellt: all das, was man erfährt und alle Aktivitäten hinterlassen Eindrücke im Geist. Wie kann man die Formung dieser Eindrücke (samskaras) beenden?
Wenn die Tasse voll ist, kann man nicht noch mehr Wasser nachfüllen. Doch wenn man in seinem Geist etwas anderes hat, beginnend mit einem Mantra, und man bewegt sich in höhere Bereiche der Bewusstheit und des Bewusstseins, dann formt man keine neuen Samskaras. Man hat nur noch die früheren Samskaras zu bereinigen.
Man muss sich also nicht darum sorgen, wie man die Formung von Samskaras oder die in der Meditation aufsteigenden Gedanken beenden kann. Man lässt nur den einen spezifischen Gedanken aufsteigen, den man gewählt hat. Wenn dieser eine Gedanke fortwährend präsent ist, gibt es keinen Platz für andere Gedanken.
Aus diesem Grund sagen wir, dass in der Meditation zwischen den Atemzügen keine Pausen entstehen sollten, denn durch diese kleine Lücke können Millionen von Gedanken Eintritt finden.
Wie kann man eine unangenehme Erfahrung vergessen?
Jedes Mal, wenn man sich an sie erinnert, wird sie stärker. Stattdessen nimmt man eine andere Erfahrung, zum Beispiel Mantra, Mantra, Mantra. Das wiederholt man immer wieder, man erinnert sich an nichts anderes.