Schweigen - die Praxis innerer Stille (Teil II)
Auszüge aus der Vortragsserie 'Silence' - von Swami Veda Bharati
Die Absicht zur Stille
Wird ein Kraftfluss durch einen bestimmten Auslasspunkt blockiert, wird er an den anderen Austrittsstellen mit erhöhter Geschwindigkeit austreten. Das ist ein bekanntes wissenschaftliches Prinzip. Das Gleiche gilt für unsere Sinne. Sobald wir einen unserer Sinne schließen, wird die derart konservierte Energie nach einiger Zeit die Erfahrung anderer Sinne verstärken. Findet man in die Stille des Geistes, in der auch die emotionale Unruhe abflaut, wird die enorme Energie, die man durch Worte verausgabt, konserviert.
Die Praxis der Stille besteht nicht allein darin, mit dem Sprechen aufzuhören, vielmehr ist es das Aufgeben der Absicht, des Wunsches zu sprechen. Man hat experimentell festgestellt, dass bereits die Absicht zu sprechen den Blutdruck erhöht. Diese Absicht sollte aufgegeben werden. Man gibt sie auf, um die innere Fülle zu erfahren, die durch das Konservieren der Energie entsteht. In die Stille einzutreten, ist kein Fluchtversuch. Es ist auch nicht der Versuch, seine innere Unruhe zu unterdrücken. Wäre es ein Unterdrücken, würde man den Zweck der Stille verfehlen.
In Stille einzutreten bedeutet, in eine innere Fülle einzutreten. Niemanden um sich zu haben, mit dem man sprechen kann, macht noch keine Stille aus. Stille gründet auf der Absicht.
Pratyahara - das 'Ruhen der Sinne'
Was ist Pratyahara? In spirituellen Kreisen aller Traditionen ist häufig von Meisterschaft über die Sinne die Rede. Pratyahara ist jener Zustand, in dem der Geist natürlich friedvoll ist, wodurch die Sinne, die ja nur den Zustand des Geistes reflektieren, ebenfalls in diesen mentalen Zustand der Ruhe eintreten. Die Sinne werden dadurch so still wie es der Geist selbst ist. Dieser Zustand der Integration von Geist und Sinnen in einen gemeinsamen Zustand der Stille wird als Pratyahara bezeichnet.
Der Zweck von Japa (fortlaufende Mantra-Präsenz) ist, alle Gedanken und Emotionen durch einen einzelnen Gedanken, oder anders gesagt, durch eine einzelne Empfindung der Zuwendung und Hingabe zu ersetzen, um schließlich selbst diesen einen Gedanken bzw. diese eine Empfindung aufzugeben, um die tiefste Stille zu erreichen.
Stille und Emotionen
Wie gesagt, Stille ist das Loslassen der Absicht zu sprechen. Doch woher entsteht diese Absicht zu sprechen, worin liegt der Ursprung dieser Tendenz des Kommunizierens?
Der Ursprung findet sich in den Emotionen.
Und was ist eine Emotion? Emotionen entstehen an der Grenzlinie der latenten Tendenzen im unbewussten Geist (samskaras) und der mentalen Aktivitäten des Geistes (vrittis). Samskaras liegen im Unbewussten verborgen. Unbewusst ist etwas, dessen sich der bewusste Geist und unser Neokortex nicht bewusst ist. Wird ein Samskara zu einem Vritti, findet man eine Art Grundgedanken, der noch nicht in seine einzelnen untergeordneten Emotionen, Gedankenformen und Wortbildungen unterteilt ist. Dieser Grundgedanke ist die Emotion. Sie versucht, zum Ausdruck zu kommen und all das auszudrücken, was unausgedrückt im eigenen Inneren verborgen liegt.
Die Intention nach Ausdruck dieses Grundgedankens, dieser Emotion, kann nur dann aufgegeben werden, wenn diese Ebene des noch unausgedrückten Grundgedankens gereinigt ist. Erst dann hat die Absicht zu sprechen keine Bedeutung mehr und treibt uns nicht mehr an. Sie bildet dann nicht weiter die hauptsächliche Antriebskraft in unseren Beziehungen und in unserer Kommunikation.
Hier beginnt man dann, eine andere Art der Kommunikation zu entwickeln, wahre Kommunikation. Mahavira (Begründer der Jaina-Tradition) und Buddha begegneten sich einst auf ihren Wanderungen und verbrachten einige Zeit im selben Haus, doch sie sprachen niemals ein Wort miteinander. Es war auch nicht notwendig. Die Stille war ihnen genug.
Die Leere füllen
Gibt es eine spezifische Übung, um dem inneren Drang zu sprechen entgegenzuwirken?
Das ist die gleiche Art Frage wie jene, ob es ein Mittel gegen die Esssucht gibt. Zu viel reden und zu viel essen sind Ausdrucksformen einer inneren Leere.
Ja, es gibt eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken. Fülle deinen Geist. Ist der Geist erfüllt, wird man nicht versucht sein, ersatzweise den Magen zu überfüllen. Ist der Geist nicht erfüllt, wirst du stattdessen den Magen füllen. Das Reden nicht sein lassen zu können zeigt an, dass man nicht genug Liebe erfahren hat.
Was kann man also tun? Gibt es eine Art Bettelschale, die du bei dir trägst, damit andere sie mit Liebe füllen, weil du soviel redest? Glaubst du, auf diese Weise wird dir Aufmerksamkeit zuteil? Man wird sich von dir sehr bald abwenden, und du wirst nicht die gewünschte Aufmerksamkeit erhalten. Und warum? Weil du allein dem Aufmerksamkeit schenkst, was in deinem oberflächlich bewussten, redseligen Geist vorhanden ist.
Fülle deinen Geist. Wie gesagt, auf das Sprechen zu verzichten ist noch keine Stille. Japa ist Stille. Erfülle deinen Geist mit Meditation, mit Kontemplation, mit Beobachtung, mit Selbstwahrnehmung. Erfülle deinen Geist mit den höherschwingenden Energien und Kräften, bis sie überfließen und sich in Liebe verwandeln, die von dir ausströmt und die Schalen anderer füllt.
Lebendige Stille
Stille ist eine derart tiefgründige Erfahrung menschlicher Existenz, dass man erst diese Stille verstehen muss, bevor man auch die Inspiration verstehen kann, die durch die großen Rishis, Weisen und Propheten der Menschheit seit langer Zeit zuströmt.
Der Sanskrit-Begriff für Stille ist Mauna. Es bezeichnet die Natur und Veranlagung eines Muni, eines in Stille lebenden, meditierenden, kontemplativen Menschen.
Stille kann eine todesähnliche Stille sein. Das ist es nicht, wonach wir streben.
Stille kann eine lebendige Stille sein. Das ist, was wir wirklich zu erreichen suchen, eine lebendige, kreative Stille.
Für einen Menschen, der sein Leben der Meditation gewidmet hat -
wir nennen das antar-mukha (nach innen ausgerichtet) -
ist die Orientierung der Sinne nach innen sehr wichtig.Um die Sinne nach innen auszurichten, schließt man die Augen,
man lässt Hände und Körper zur Ruhe kommen -
und man beendet das Sprechen.
Swami Veda Bharati in 'An Intangible Beauty'
Siehe auch:
Mantra und Stille (Swami Rama)