Einstieg in die Meditationspraxis
von Swami Veda Bharati
Eine leicht gekürzte Übersetzung von Swami Vedas Schrift 'Beginning Meditation'
mit freundlicher Genehmigung von Ahymsin Publishers / Himalayan Yoga Publications Trust (HYPT)
Der erste Schritt auf dem Weg der Meditation
In dieser Darstellung möchte ich die erste Ebene der Meditationsmethode präsentieren, mit der jeder beginnen und üben kann, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Man findet sie selten in Büchern, und selbst wenn sie in Büchern empfohlen wird, wird sie noch seltener richtig verstanden. Die Methode selbst ist allerdings so einfach, dass sogar ein dreijähriges Kind sie durchführen kann.
Die Schritte der Methode
Ich stelle hier Punkt für Punkt eine systematische Methode vor, wie man mit der Meditationspraxis beginnen kann. Es ist in jedem Alter möglich, damit zu beginnen, je jünger, desto besser. Doch für Meditation ist es im Leben nie zu spät. Man sollte wenigstens einmal am Tag üben, die Dauer abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit.
Erfolg hängt nicht von der Länge der Übungseinheit ab, sondern von der Tiefe der Aufmerksamkeit. Sie entwickelt sich nur allmählich. Man kann auch zu verschiedenen Tageszeiten üben: zum Beispiel, wenn man müde ist und sich schnell revitalisieren möchte, wenn man ärgerlich oder frustriert ist und wieder zu mehr Ruhe finden möchte, oder wenn man unter Stress steht und sich entspannen möchte. Es ist möglich zu meditieren, während man im Flughafen oder auf dem Bahnhof wartet, oder als Beifahrer in einem Auto. Es gibt keine Einschränkungen und dieses Üben kann niemals schaden.
Die folgenden Schritte beinhalten die Grundlage des Raja-yoga-Meditationssystems, wie es von den Yogis der Himalayas gelehrt wird. In unserem System überprüfen wir zuerst die nachfolgenden Punkte, und wir gehen erst weiter, wenn diese Grundlagen korrekt erarbeitet sind.
Die einzelnen Schritte sind:
- gleichmäßige Zwerchfellatmung
- korrekte Haltung mit aufgerichteter Wirbelsäule, bequem für Beine, Rücken und Nacken. Diese gerade Haltung sollte beschwerdefrei über eine längere Zeit beibehalten werden können
- systematische Entspannung, während der Meditationspraxis sollte vollkommene Entspannung des neuro-muskulären Apparats beibehalten werden können
- Atemgewahrsein - dies beinhaltet eine Reihe subtilerer Aspekte, die man allmählich erlernt
- Anwendung eines Mantras oder heiligen Wortes, gleichgültig aus welcher spirituellen Tradition:
anfänglich als ein Klang, der leicht mit dem Atem fließt, wie z.B. so-ham - wenn diese Stufe gemeistert ist, erhält man Mantra-diksha - Einweihung in ein Mantra - und wird allmählich in fortgeschrittenere Methoden subtiler Japa-Praxis (rein mentale Erinnerung des Mantra) eingeführt.
Nun zu den Details dieser Schritte.
Zwerchfellatmung
Der Atemvorgang wird vorwiegend vom Zwerchfell gesteuert. Es trennt den Brustraum vom Bauchraum. Im Idealfall kontrahiert das Zwerchfell derart, dass man vollständig bis in den unteren Lungenbereich einatmen kann. Beim Ausatmen entspannt sich das Zwerchfell und drückt dabei aufwärts gegen den unteren Teil der Lungen. Jedes neugeborene Kind hat diese natürliche Zwerchfellatmung. Da man jedoch diese natürliche Art der Atmung später verlernt, sollte man sie wieder neu erlernen.
Bei korrekter, tiefer Atmung sollte kein Druck in den Lungen fühlbar werden und sich keine Anspannung aufbauen. Der Atem sollte so entspannt sein, dass ein Gefühl der Erneuerung erfahrbar wird.
Zwerchfellatmung wird gelehrt in
- Makarasana - der Krokodilstellung, bei der man auf dem Bauch liegt
- Shavasana - der 'Totenstellung' (Rückenlage)
- in sitzenden und stehenden Positionen.
(Anleitungen hierzu in Teil II)
Korrekte Haltung
In der Meditation ist eine aufgerichtete Wirbelsäule sehr wichtig. Eine gekrümmte Wirbelsäule blockiert zum einen die korrekte und vollständige Atmung. Zweitens verschlimmert sie Erkrankungen wie Asthma und Herzprobleme. Drittens wirkt sie sich nachteilig auf das gesamte Nervensystem aus, dessen zentraler Strom sich in der Wirbelsäule befindet.
Aufrechtes Sitzen sollte unter fachmännischer Anleitung erlernt werden, doch einige Hinweise können hier hilfreich sein. Man sollte nicht versuchen, in fortgeschrittenen Haltungen wie Siddhasana (vollkommener Sitz) oder Padmasana (Lotossitz) zu sitzen, besonders wenn Alter, körperliche Probleme, oder fehlende Übung dies nicht erlauben. Man kann genau so auf einem Stuhl oder mit bequem gekreuzten Beinen sitzen.
Sitzt man mit gekreuzten Beinen, führt der eigene Schwerpunkt allerdings dazu, dass der Rücken gekrümmt ist. Die Lösung dafür ist einfach: falte eine Decke zu einem festen Kissen. Sitze nicht vollständig darauf, sondern leg es unter deine Sitzknochen; die Beine bzw. Knie liegen auf dem Boden auf, die Hüften sind durch das Kissen angehoben. Richte dich auf. Falls das für Rücken oder Nacken unbequem ist, experimentiere mit der Höhe des Kissens. Experimentiere solange, bis es optimal passt und bequem ist. Nimm dir dann vor, immer in dieser Haltung zu sitzen.
Ist das Sitzen am Boden zu schwierig, kann man in Mitrasana sitzen: du sitzt am vorderen Rand eines harten Stuhls, die Füße am Boden, die Wirbelsäule aufgerichtet. Mach es zu deiner Gewohnheit, lass es zu deiner natürlichen Haltung werden. Du wirst allmähliche psychologische Veränderungen in dir bemerken, wie: erhöhte Bewusstheit, verbesserte Konzentration, mehr Selbstvertrauen, doch frei von Stolz, sowie erhöhte Effektivität im Alltag.
Wenn du in der korrekten Haltung sitzt, führe weiter die Zwerchfellatmung durch und richte deine Aufmerksamkeit auf das Fließen des Atems und auf das sanfte Heben und Senken deines Bauches aus. Es sollte kein Gefühl von Druck in der Brust entstehen. Ist Spannung bemerkbar, ist die Atmung nicht korrekt.
Systematische Entspannung
Systematische Entspannung ist nach der Zwerchfellatmung der zweite Schritt, der in der Rückenlage (shavasana) durchgeführt wird. Es gibt zahlreiche zunehmend komplexere geistige Übungen, die in Shavasana durchgeführt werden. Sie führen schließlich zu Yoga-nidra und ermöglichen den Eintritt in den subtilen Körper.
Eine grundlegende methodische Entspannung
Nimm die Rückenlage (shavasana) ein, die Füße etwas auseinander, die Arme mit etwas Abstand vom Körper abgelegt, lass die Handflächen nach oben zeigen. Behalte die Zwerchfellatmung bei. Beginne mit einer geistigen Inventur deines Körpers, in der nachfolgend angegebenen Abfolge, und bitte dabei den jeweiligen Bereich deines Körpers darum, zu entspannen.
- Stirn, Augenbrauen, Augen, Nasenflügel, Wangen, Kiefer, Mundwinkel, Kinn, Nacken, Basis des Nackens, Schultern, Schultergelenke, Oberarme, Ellbogen, Unterarme, Handgelenke, Hände, Finger, Fingerspitzen -
- Fingerspitzen, Finger, Hände, Handgelenke, Unterarme, Ellbogen, Oberarme, Schultergelenke, Schultern -
- Brustraum, Herzbereich, Magengegend, Nabelbereich, Unterbauch, Beckenbereich, Hüftgelenke, Oberschenkel, Knie, Unterschenkel, Fußgelenke, Füße, Zehen -
- dann in der umgekehrten Reihenfolge wieder aufwärts:
Zehen, Füße, Fußgelenke, Unterschenkel, Knie, Oberschenkel, Hüftgelenke, Beckenbereich, Unterbauch, Nabelbereich, Magengegend, Herzbereich, Brustraum - - Schultern, Schultergelenke, Oberarme, Ellbogen, Unterarme, Handgelenke, Hände, Finger, Fingerspitzen -
- Fingerspitzen, Finger, Hände, Handgelenke, Unterarme, Ellbogen, Oberarme, Schultergelenke, Schultern, Basis des Nackens, Nacken, Kinn, Kiefer, Wangen, Nasenflügel, Augen, Augenbrauen, Stirn.
Präge dir diese Abfolge ein, geh in dieser Reihenfolge durch den Körper und entspanne dabei jeden einzelnen Teil. Lass die verschiedenen Körperbereiche weich werden. Beispielsweise sollten die Hände weich werden wie die Hände eines Babys.
Progressive Muskelentspannung
Sollte es dir anfangs nicht gelingen, die Körperbereiche wirklich zu entspannen, oder wenn du sehr angespannt bist, kannst du eine andere Methode durchführen, die systematische Anspannung und Entspannung beinhaltet. Sie wird ebenfalls in der Rückenlage (shavasana) durchgeführt.
Dabei werden bestimmte Körperbereiche erst angespannt, dann wird diese Anspannung bewusst wieder losgelassen. Alle anderen Muskelbereiche sollten entspannt bleiben. Zwischen jedem Abschnitt pausiere für zwei Atemzüge. Nach der gesamten Sequenz lass dich für 10 Atemzüge völlig zur Ruhe kommen. Also immer erst den betreffenden Bereich anspannen - dann entspannen. Hier die Abfolge:
- rechtes Bein - linkes Bein - rechtes Bein - linkes Bein,
- beide Beine gleichzeitig - wiederholen,
- rechtes Bein und rechter Arm - linkes Bein und linker Arm - beides wiederholen,
- rechter Arm - linker Arm - rechter Arm - linker Arm - dann beide Arme gleichzeitig - das nochmals wiederholen,
- beide Arme und Beine gleichzeitig anspannen und entspannen - nochmals wiederholen.
Nach Abschluss einer dieser Übungsreihen behalte die Zwerchfellatmung bei, so wie weiter oben beschrieben. Lass dich in dieser Weise noch für ein paar Minuten ruhen.
Dann setz dich auf für die Meditation, mit aufgerichteter Wirbelsäule. Überprüfe kurz, ob sich durch das Wechseln der Position im Körper Spannungen zeigen und entspanne. Finde zurück zur Zwerchfellatmung.
Atemgewahrsein
Lass deinen Atem fließen, sanft und gleichmäßig, ohne Stocken, keine Unterbrechungen im Verlauf des Atems, ohne Unterbrechungen zwischen den Atemzügen, geräuschlos und leicht. 'Taila-dharavat' - 'wie ein gleichmäßiger Strom Öl, das ausgegossen wird'. Sei dir dieses Fließens bewusst, lass in diesem Fließen der Aufmerksamkeit keine Unterbrechung entstehen.
Spür das Fließen und die Berührung des Atems in den Nasenflügeln. Lass weiter den Atem ohne Stocken und ohne Unterbrechungen fließen. Das Gewahrsein der Einatmung sollte unmittelbar mit dem Gewahrsein der Ausatmung verschmelzen - und umgekehrt. Dabei ist das Gewahrsein der Ausatmung von besonderer Bedeutung.
Falls der Geist zu wandern beginnt, richte deine Wirbelsäule erneut auf, lass dich nochmals kurz entspannen, finde zur Zwerchfellatmung zurück - und bleib dann weiter beim Gewahrsein des Fließens und der Berührung des Atems in den Nasenflügeln.
Mantra oder heiliges Wort
Als Einstieg kannst du so'ham benutzen. Ausatmend erinnere die Silbe ham, einatmend erinnere mental die Silbe so. Es bedeutet 'Dies Bin Ich'. Wer in einer religiösen Tradition eingebunden ist, kann ein heiliges Wort aus der entsprechenden Tradition verwenden. Lehrer in der Himalaya-Tradition sind darin trainiert, jeder Person entsprechend ihrem kulturellen bzw. weltanschaulichen Hintergrund Anleitung zu geben.
Lass im Atemgewahrsein und im Gewahrsein des Fließens des Mantras keine Unterbrechungen aufkommen. Beobachte, wie Atem, Mantra und Geist als verbundener Strom fließen.
Verlängere allmählich den Zeitraum dieses Gewahrsein des verbundenen Stroms ohne Unterbrechung. Zuviel Bemühung bringt keinen Erfolg. Man kann nicht in einen meditativen Zustand eintreten, indem man mit sich selbst kämpft. Lass es fließen, lass es geschehen. Versuch nicht, Meditation zu machen. Beobachte und sammle Erfahrungen.
Mantra-diksha
Als nächsten Schritt suche jemanden, der dir Mantra-dikṣa (die erste Initiation) geben kann. Häufig wird es als Übertragung des persönlichen Mantras bezeichnet. Anschließend folgt die Einführung in individuell passende Meditationsmethoden. Mantra und Meditation werden entsprechend der individuellen Tendenzen festgelegt, den Eindrücken im Unbewussten, die über viele Lebensspannen angesammelt wurden, wie auch entsprechend der jeweiligen spirituellen Erfordernisse und seiner/ihrer Qualifikationsstufe (adhikara).
Es gibt viele Wege, die Erfahrung des Mantras zu verfeinern - durch die verschiedenen Ebenen der Koshas, der Hüllen oder Schichten der Persönlichkeit, bis in die höchste Stille. Dieser Ajapa-Zustand kann auch durch die Gnade des Guru eintreten, wobei das mentale Erinnern des Mantras oder das innere Lauschen auf das Mantra endet und nicht mehr ein Tun darstellt, sondern zu einer natürlich auftretenden Erfahrung wird.
Man kann darin unterwiesen werden, auf dem Weg des inneren Klangs (nada) oder des Lichts (jyoti) weiter fortzuschreiten und dem Weg der Kundalini zu folgen. Man kann auch in der Meditation auf ein bestimmtes Cakra (Zentrum der Bewusstseinsenergie) unterwiesen werden, doch das Eintreten in diese Art Meditation wird nur möglich, wenn der Initiator das betreffende Cakra des Schülers mental berührt.
Man mag auch die Anweisung erhalten, im betreffenden Cakra ein bestimmtes Diagramm oder Objekt zu visualisieren, oder die Präsenz der bevorzugten oder gewählten Form des Göttlichen, beispielsweise Jesus oder Maria für Christen, Buddha für Buddhisten, und so weiter. Hier wird ein Aspirant auch darin unterwiesen, wie er sein Mantra mit der Energie des betreffenden Cakras verschmelzen kann und dessen zentralen Punkt zu durchdringen (bindu-vedhana). Die verborgenen Geheimnisse dieser Praktiken werden in spezifischen Tantras gelehrt, sie können jedoch nur innerhalb der lebendigen Beziehung zwischen Guru und Schüler wirklich verstanden werden.