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Mantra und Geist

Auszüge aus der Vortragsserie 'Anwendung und Bedeutung von Mantras'
von Swami Veda Bharati
Teil 5

Ein zentraler Unterschied zwischen westlichem und östlichem System der Psychologie besteht darin, dass die westliche Psychologie den Geist einfach nur als einen Prozess betrachtet. Irgendwie setzt sich der Geist aus all den Dingen zusammen, die wir erfahren haben. Im System der Yoga-Psychologie ist der Geist kein Prozess. Er wird als ein Energiefeld erkannt - und alle Prozesse ereignen sich in diesem Energiefeld. Doch beide Systeme, westlich wie östlich, stimmen darin überein, dass der rationale Geist nur ein sehr kleiner Teil des Geistes ist.

Rationaler und nichtrationaler Geist

Das westliche Psychologiesystem erfasst allerdings noch nicht viel vom nichtrationalen Bereich des Geistes. Viele glauben, der rationale Geist sei der nützliche Teil des Geistes und der Rest ist zu wenig gut. Doch in der Yoga-Psychologie wird der rationale Teil des Geistes als der am wenigsten zuverlässige Teil erkannt. Das soll nicht heißen, dass wir uns irrational verhalten sollen. Der rationale Bereich ist ein nützliches Instrument, solange er in richtiger Weise eingesetzt wird. Doch er ist nur ein begrenztes Werkzeug neben vielen anderen Werkzeugen, die uns zur Verfügung stehen. Ein riesiger Bereich des Geistes liegt unerschlossen jenseits des Rationalen, jenseits des bewussten Geistes. Konzentrationen wie jene auf ein Mantra dienen als Zugänge zu jenen Bereichen des Geistes, die wir auf der Ebene des rationalen Geistes gewöhnlich nicht erfahren.

Konzentration zum Zweck der Konzentration

Ein anderer fundamentaler Unterschied:
wenn man sich konzentriert, will man gewöhnlich etwas Bestimmtes bewerkstelligen, man will eine bestimmte Tätigkeit ausführen, man will malen, etwas lernen, etwas ausrechnen etc. Doch wir konzentrieren uns nicht um der Konzentration willen. Die Yoga-Psychologie begreift Konzentration rein um der Konzentration willen als die weitaus bedeutendste geistige Aktivität. Denn durch sie entsteht nicht nur die Entspannung von Gehirn, Nerven, Muskeln etc., durch diese Art Konzentration findet man Zugang zu den verborgenen Bereichen des Geistes, die der rationalen Ebene nicht zugänglich sind.

Durch die Übung der Konzentration wird die sonst vielfältige, zerstreute Aktivität des Geistes zu einem verbundenen, ausgerichteten Strom, der Geist wird zu einem gleichmäßigen Strom.

Daraus resultieren verschiedene Dinge:

  • durch den gleichförmigen Fluss des bewussten Geistes kommen alle psycho-physiologischen Systeme zur Ruhe. Durch diese Art der Konzentration z.B. auf ein Mantra, entsteht eine natürliche Entspannung des Gehirns, der Nerven, Muskeln und anderer psycho-physiologischer Systeme
  • durch diese Konzentration werden die Energien des Geistes zentriert; ansonsten sind die Energien des Geistes in viele Richtungen aktiv
  • ist der Geist derart konzentriert, wird die Energie einpunktig fokussiert - und was immer man wahrnimmt, wird umfassend und in all seiner Subtilität wahrgenommen. Man sieht Dinge, die man zuvor nicht gesehen hat, erfährt Dinge, die man zuvor nicht erfahren hat. Was also wie ein Rückzug von der Welt der Sinne erscheint, ist in Wahrheit eine Sensibilisierung des Geistes. Was immer du wahrnimmst - innen oder außen, wird mit weitaus größerer Klarheit wahrgenommen, in all seinen Einzelheiten, vollständiger.

Durch diese Konzentration des Geistes um der Konzentration willen, beispielsweise auf ein Mantra, wird Energie gespeichert und steht für erweiterte Anwendungen zur Verfügung. Eine meditierende Person konserviert die mentale Energie durch Konzentration. Er/sie unterbricht täglich für eine gewisse Zeit die Zerstreutheit der Gedanken, Erfahrungen und Emotionen und überführt sie in ein Erleben eines völlig klaren Stroms. Wenn man diese Fähigkeit entwickelt hat, lernt man als nächstes, die gesamte Energie des Geistes auf einen Fokus zu bringen - und dieser Fokus kann in jeder Richtung zur Anwendung kommen. Wenn man etwas berührt, berührt man es mit größerer Tiefe. Wenn man liebt, liebt man vollständig - oder man bleibt zurückgezogen und neutral.

Wenn das geschieht, begreift man, dass der Geist ein weitaus größeres Potential hat, als man für möglich gehalten hat.

Der bedeutendste Beitrag der westlichen Psychologie in den vergangenen ein- oder zweihundert Jahren war die Entdeckung des unterbewussten Geistes. Doch je tiefer wir uns in dieses Unterbewusste hineinbegeben, desto verwirrender wird es.

In der Meditation begeben wir uns nicht in den unterbewussten Geist. Doch sollte man diesen Bereich zwischen dem bewussten, aktiven Geist und dem überbewussten Geist gut verstehen. Wir wissen, dass alle Eindrücke, die über die Sinne den Geist erreichen, im unterbewussten Geist gespeichert werden. Ich nenne es die 'Sümpfe des Unterbewussten'. Und all der Morast dieser unterbewussten Sümpfe überschwemmt die klaren Quellen des überbewussten Geistes. Dieses Zentrum des Geistes, das immer ruhevoll, immer rein, immer weise, immer frei ist - dieser sattvische, reine Bereich des Geistes wird verdunkelt.

Möglichkeiten eines konzentrierten Geistes

Ein konzentrierter Geist, der nach außen in die Welt der Sinne gerichtet wird, besitzt natürlich größere Konzentrationskraft bezüglich aller äußeren Dinge.

Man kann diese Energie genauso nach innen richten, um diese verdunkelnden Energien zu durchdringen, um die ruhigen und klaren Bereiche zu erreichen - jene Bereiche, aus denen wahre Intuition entsteht. Wenn man beginnt, diese Bereiche des Geistes zu berühren, ist es vergleichbar mit dem Eintauchen in kühles, klares Wasser, aus dem man vollständig gereinigt wieder auftaucht. Das ist der höchste und wichtigste Zweck der Konzentration um der Konzentration willen.

Anfangs bezieht sich die Konzentration auf ein äußeres Objekt, beispielsweise die Entspannung - man konzentriert sich auf seinen Körper. Um sich selbst ein wenig näher zu kommen, konzentriert man sich auf die Atmung. Da wir so an gedankliche Aktivität gewöhnt sind, erhält man einen bestimmten Gedanken - wie z.B. so'ham (das Mantra des Atems). Dann kommt das individuelle Mantra.

Der Geist umfasst viele verschiedene Energien - und alle diese Energien müssen fokussiert werden.

Meditation ist die Kunst, die Energien des Geistes zu erschließen. Anfangs, wenn die Klangschwingung im bewussten Geist angewendet wird, wird das Mantra zum Fokus der Konzentration - und dadurch wird die mentale Energie einpunktig. Die Absicht ist, dass das Mantra so mit dem Geist eins wird, wie das Sehen eins ist mit den Augen

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