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Mantrapraxis und persönliche Entwicklung

Auszüge aus der Vortragsserie 'Anwendung und Bedeutung von Mantras'
von Swami Veda Bharati
Teil 2

Genau genommen beginnt Meditation mit einem Mantra. Die Gedanken eines ungeübten Menschen sind wahllos und beliebig aufeinanderfolgend. Daher ist auch die Entwicklung der Persönlichkeit ein eher ungeplanter Prozess. Wir möchten gerne etwas Bestimmtes sein, sind es jedoch nicht. Wir würden etwas gerne auf spezifische Weise tun, sind aber dazu nicht in der Lage. Der Grund liegt darin, dass unsere Gedanken unkontrolliert und völlig beliebig sind.

Meditation ist anfangs ein Prozess, unsere Gedanken zu bündeln und in eine bestimmte Richtung zu lenken. In höheren meditativen Zuständen gibt es keine Gedanken mehr. Der höchste Zustand der Meditation ist ein Zustand reinen Bewusstseins ohne Objekt. Das Selbst erkennt seine eigene Natur - frei von Worten.

Den Geist bündeln

Wie kann man die Energie dieses sprunghaften, unkontrollierten Geistes nutzbar machen? Das Licht hier im Raum ist ein zerstreutes, diffuses Licht. Es reflektiert von den Oberflächen, ist aber nicht ausgerichtet. Seine Wirksamkeit ist auf einen bestimmten Grad der Helligkeit begrenzt und reicht darüber nicht hinaus. Wenn du jedoch dasselbe Licht durch spezielle Geräte leitest, wird es zu einem Laserstrahl. Dieselbe Intensität an Licht wird hochgradig effektiv. Du kannst damit eine Nachricht zum Mars schicken oder auch medizinische Operationen durchführen.

Wenn man das Licht des Geistes konzentriert, ist es noch weitaus machtvoller als ein Laser. Doch wir haben in unserem Leben nie gelernt, den Geist zu lenken, ihn zu bündeln. Wir haben nie gelernt, seine Energie zu konzentrieren, sie auf einen Fokus zu bündeln. Die Gedanken steigen beliebig auf, einer nach dem anderen, ohne bestimmte Reihenfolge oder Kontrolle. Hierin liegt der Grund, warum wir nicht Herr unserer Persönlichkeit sind. Dinge geschehen und beeinflussen uns, und wir können sie nicht kontrollieren. Wir finden nicht einmal zu uns selbst, wie sollten wir denn dann das Göttliche entdecken können.

Licht, Klang und Stille

Wenn die höhere Lebenskraft, die Bewusstseinskraft des Universums den Menschen berührt, dann geschieht dies über Licht oder Klang, bzw. Licht und Klang. Wenn sich deine Meditation vertieft, stellen sich drei Arten von Erfahrungen ein: die Erfahrung von Licht, die Erfahrung von Klang und die Erfahrung von Stille, in der weder Licht noch Klang präsent sind. Das Mittel, das uns diese Erfahrungen ermöglicht, ist ein Mantra.

Das Wort so'ham ist ein Mantra. Dieses Wort hat etwas sehr Spezielles. Sein Klang begleitet als natürliche Schwingung den Atem. Wenn wir jedoch jemandem ein Mantra geben, so ist es speziell auf die betreffende Person abgestimmt. Wenn die grundlegenden Voraussetzungen wie aufrechter Sitz, freier Atem, Reinigung der Energiebahnen und ein gewisser Grad Atem-Gewahrsein etabliert sind, so ist der nächste Schritt ein geeignetes Mantra, das man für die Meditation nutzt.

Mantra als Gebet

Mantra kann man auf verschiedenste Weise definieren. Für jene, für die Gebet Bedeutung hat, kann es ein Gebet sein. Dann jedoch ist es ein Gebet, das um nichts bittet, sondern vielmehr einen bestimmten Bewusstseinszustand verinnerlicht. Was ist der Unterschied zwischen Beten und Meditation? In einem gesprochenen Gebet sagt man beispielsweise: 'Herr, schenke mir Frieden.' In der Meditation findet man in diesen inneren Frieden. Die Erfahrung dieses inneren Friedens und das Einsinken darin wird zur Meditation. Befreit man seinen Geist von allen willkürlichen Gedanken und füllt ihn mit Erfahrungen des Unendlichen und Ewigen - jenseits von Raum und Zeit, entsteht daraus Meditation.

Bewusstsein - Gedanken - Worte

Doch Mantra kann man auch auf andere Weise definieren. Ein Mantra ist eine Kombination aus Klängen, aus bestimmten Silben. Wenn wir willkürlich eine Silbe äußern, so hat sie keine besondere Kraft. Als die frühen Yoga-Meister ihre Wissenschaft der Meditation entwickelten, waren sie ihre eigenen Versuchskaninchen. Sie meinten: 'Mal sehen, was mit meinem Geist und Bewusstsein geschieht, wenn ich jeden Tag für zwei Stunden den Klang 'Bin' wiederhole - und was, wenn ich zwei Stunden täglich 'Ich bin' wiederhole?'

Wir besitzen Bewusstsein und Willen. Im Geist steigen Gedanken auf. Diese Gedanken formen sich zu Worten und diese spricht man aus.

Es ist vergleichbar damit, sich tief in einer Höhle zu befinden, und man kommt nur auf sehr komplizierten Pfaden aus dieser Höhle heraus. Du hinterlässt einen Faden oder ein Seil. Um deinen Weg zurück in die Höhle zu finden, orientierst du dich an diesem Seil und gehst den Weg zurück. Man geht nach außen vom Bewusstsein zu den Gedanken und zu den Worten; dann folgt man dem Weg wieder nach innen von den Worten zu den Gedanken und zum Bewusstsein.

Es ist dies der Prozess der Integration der willkürlichen Energien in einen zentralen Strom, um in dieses innerste Selbst zu finden. Bestimmte Gedanken drücken sich in bestimmten Worten aus, bzw. bestimmte Worte haben ihren Ursprung in bestimmten Gedanken. Bestimmte Personen haben aufgrund ihrer Persönlichkeitsstrukturen ganz natürlich bestimmte Gedanken, bestimmte andere Gedanken entstehen in ihnen gar nicht. Wie wir wissen, ist unsere Persönlichkeit nichts anderes als die Summe all unserer Handlungen und Erfahrungen im Verlauf unseres Lebens. Aus ihnen setzt sich unsere Persönlichkeit zusammen.

Seine Persönlichkeit gestalten

Du kannst deine Persönlichkeit gestalten und beispielsweise sagen: 'Von heute an gerechnet in fünf Jahren möchte ich etwas Bestimmtes verwirklicht haben.' Du musst etwas sein, bevor du damit beginnst etwas zu tun. Manche Menschen glauben: 'Was ich mache, bestimmt, wer ich sein werde. Wenn ich unterrichte, dann bin ich ein Lehrer.' Das stimmt so nicht. Du musst erst ein Lehrer sein, um überhaupt fähig zu sein zu unterrichten.

All unsere Empfehlungen für Menschen mit persönlichen Problemen beruhen hierauf:  es zählt nicht, was er oder sie tut, sondern was er oder sie wirklich ist. Die Gesamtheit aller Eindrücke von Handlungen und Erfahrungen eines Menschen lenken ihn ganz natürlich in eine gewisse Richtung. In dir sind bestimmte Neigungen entstanden - aufgrund der Gesamtsumme aller Erfahrungen und Handlungen, die du im Lauf deines Lebens angesammelt hast.

Will man nun einen bestimmten Persönlichkeitstypus entwickeln, kommt es auf die Art der Gedanken an, die man kultiviert. Ob du nun ein Tänzer, ein Heiliger oder ein guter Mensch sein möchtest, oder jemand, der in sich das Göttliche realisiert hat - oder was immer du auch sein möchtest: du musst deine Gedanken darauf ausrichten.

Zum einen ist ein Mantra eine Klangschwingung, andererseits ist es eine Anordnung bestimmter grundlegender Saatgedanken, gedanklicher Samen, die wir setzen. Das Mantra als ein in dir wiederholter Gedanke integriert sich in deine Persönlichkeit.

Mantra als Fokus

Das Mantra wird zum Fokus deiner Meditation. Wenn du deine Aufmerksamkeit allein auf den Atem lenkst, ist nicht klar, was du mit dem Geist anfangen sollst. Alle möglichen Gedanken tauchen weiter auf und lassen dich das Atemgewahrsein vergessen. Mit einem Mantra hat auch dein Geist einen einzelnen Fokus. Du richtest deinen Geist auf diese bestimmte Kombination von Silben aus. Anfangs, wenn du das Mantra erhalten hast, praktizierst du es in Verbindung mit dem Atemgewahrsein. Im weiteren Verlauf der Entwicklung deiner Meditationspraxis wirst du weiterführende Methoden der Mantrapraxis erhalten. Es ist ein lebenslanger Entwicklungsprozess.

Allerdings wird das Mantra nicht nur zu einem Fokus für die Meditation. Es sollte auch im täglichen Leben in deinem Geist präsent sein. Im Verlauf deiner Mantra-Praxis wirst du zunehmend erleben, dass das Mantra einfach im Geist aufsteigt und all die anderen Gedanken zur Seite schiebt. Das Mantra wird zu deinem Freund. Wenn du die Straße entlang gehst, bleibt es in deinem Gewahrsein, du gibst ihm Raum und es begleitet dich.

Wenn du deine Lebensbedingungen ändern möchtest,
so ändere deine Persönlichkeit.

Wenn du deine Persönlichkeit ändern möchtest,
so ändere deine Gedanken.

Ich möchte nochmals in Erinnerung rufen, was ich über die Persönlichkeit gesagt habe. Das Mantra ist jener Faktor, der deiner Persönlichkeit neu hinzugefügt wird. Die Summe all deiner Handlungen und Erfahrungen im Leben machen deine Persönlichkeit aus - und sie gestalten in weiterer Folge deine Lebensbedingungen, und dein persönliches Umfeld. Das ist dein Karma. Die Art Persönlichkeit, die du bist, die Art Magnet die du bist - diese Art von Erfahrungen ziehst du an. Deine Gedanken gestalten deine Persönlichkeit - und deine Persönlichkeit bestimmt deine Lebensumstände.

Wenn du deine Lebensbedingungen ändern möchtest, so ändere deine Persönlichkeit. Wenn du deine Persönlichkeit ändern möchtest, so ändere deine Gedanken. Das ist der einzige Weg, um ein Leben in Harmonie und frei von Konflikten zu leben. Ändere die Art deiner Handlungen und Erfahrungen, um heilsames Karma zu schaffen.

Das Mantra bringt also einen neuen Aspekt in deine Persönlichkeit, der bisher noch nicht vorhanden war. Die gegenwärtige Situation deines Lebens ist das Ergebnis von Erfahrungen und Handlungen, die du wahllos, zufällig und ohne jegliche Kontrolle zugelassen hast.

Gerade jetzt, während du meinen Worten zuhörst, fügst du gleichzeitig weitere wahllose Faktoren deiner Persönlichkeit hinzu. Du denkst an viele andere Dinge, für es jetzt eigentlich keinerlei Anlass gibt. Du hast bisher noch nicht gelernt, all diese sinnlosen Gedankenwellen aufzugeben. Wenn du diesen Raum verlässt, wirst du dich sofort wieder in dieselbe Art willkürlicher Gedanken verlieren. Du hast noch keine Kontrolle entwickelt darüber, welche Art Persönlichkeit du sein willst. Das Mantra bildet also einen zusätzlichen Faktor in den Handlungen und Erfahrungen deines Lebens. Es wiederholt sich und wiederholt sich und fügt deiner Persönlichkeit kontinuierlich diese eine neue Schwingung hinzu - diesen einen Gedanken, diesen Aspekt des Bewusstseins.

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