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Materie - Geist - Selbst

Auszüge aus der Vortragsserie 'Systeme der Persönlichkeit'
von Swami Veda Bharati
Teil 1

Einführung

Unser Thema ist die Beziehung von Materie, Geist (engl. 'mind' - der denkende Geist, Verstand, psychisches Instrument) und Selbst (engl. 'spirit' - das spirituelles Selbst). Ohne klares Verständnis dieser drei Kategorien und der Beziehung, in der sie zueinander stehen, kann der Zweck der Meditation nicht verstanden werden.

Dazu muss unser Verständnis für 'Persönlichkeit' neu definiert werden. Die Frage lautet: Wer bin ich? Wo ende 'ich'? Und wo beginnt das Universum?

Wenn wir von Selbstverwirklichung sprechen, verstehen wir unter Selbst gewöhnlich diesen Persönlichkeitsapparat zwischen Kopf und Zehen. Das Potential dieses Apparats zu verwirklichen, begreifen wir als Selbstverwirklichung. Diese Art Verständnis ist das zentrale Hindernis für die praktische Entwicklung und Realisierung der Meditation.

Die Persönlichkeit ist nicht das Selbst

Im Yoga-Verständnis ist das Selbst nicht die Persönlichkeit. Wird das nicht verstanden, wird man mit seiner Meditationspraxis nirgendwohin gelangen. Die Persönlichkeit ist nicht das Selbst.

Man mag evtl. mit dieser Ansicht und mit bestimmten anderen Folgerungen nicht übereinstimmen. Doch selbst wenn man mit der Philosophie nicht übereinstimmt, sollte man sie doch richtig verstehen. Man muss dem nicht zustimmen, aber es wenigstens richtig verstehen.

Das materielle Prinzip

Wir interagieren mit Materie auf zweierlei Weise: personell und universell.

Personell: die Teile der Materie, die mit meiner Persönlichkeit verbunden sind. So ist z.B. das Kalzium in meinen Knochen Teil meines Persönlichkeitsapparats, obwohl dieses Kalzium sich nicht vom Kalzium irgendwo anders unterscheidet.

Hier bin also ich mit meiner persönlichen Materie. Doch: Wer bin ich? Bin ich diese Kombination von Geweben, Blut, Knochen etc., mit ein paar Vitaminen etc., und mit elektrischen Impulsströmen, die durch das System laufen?

Diese Persönlichkeit scheint mehr oder weniger eine Art Computer zu sein. Es hat einen funktionierenden Prozessor (Zentrales Nervensystem) und eine Art Datenspeicher (Erinnerung). Alles, was sich mit diesem Computer verbindet wird Teil der Erinnerung und bildet den Speicher des Unterbewussten. Diese Persönlichkeit - wie auch der Computer - reinkarniert. Ein Computer reinkarniert, indem man die Daten von einem PC auf einen neuen PC transferiert und die Daten auf dem alten PC löscht. Es ist praktisch vergleichbar.

Können Computer meditieren?

Das traditionelle Verständnis von Persönlichkeit ist ein anderes. Um Persönlichkeit zu verstehen, versucht man als erstes zu verstehen: Was ist Materie?

Ich kann Persönlichkeit und persönliche Materie nicht definieren, wenn ich nicht zuerst 'Materie' klar definiere. Was ist die Beziehung der persönlichen zur universellen Materie. Wenn beide dasselbe sind, woher entsteht dann eine Beziehung beider?

Persönlichkeit beruht auf Identifikation. Womit immer man sich identifiziert, davon sagt man, 'Das bin ich'.
Meditation ist der Prozess, diese begrenzenden Identifikationen zu durchbrechen.

Der Körper samt Nerven und Gehirnzellen ist aus materiellen Stoffen aufgebaut. Warum sage ich also, 'Das bin ich'?

  • Wenn ich mit mit einer Nadel in den Finger steche, bin 'ich' verletzt.
  • Wenn mich jemand einen dummen Idioten nennt, bin 'ich' verletzt.
  • Wenn jemand sagt, 'Du bist hässlich', bin 'ich' verletzt.
  • Wenn jemand sagt, 'Das Land, aus dem du stammst, ist schlecht', so bin 'ich' verletzt -
    das Land etc. ist nicht Teil meines Körpers, ich bin kein Land - warum bin ich also verletzt?
  • Jemand schimpft auf meine Religion, doch 'ich' bin verletzt.

Persönlichkeit beruht auf Identifikation. Womit immer man sich identifiziert, davon sagt man, 'Das bin ich'. Meditation ist der Prozess, diese begrenzenden Identifikationen zu durchbrechen.

Materie interessiert uns hier nicht im streng wissenschaftlichen Sinn, als Masse, Energie etc., sondern von einem rein philosophischen Standpunkt. Der Sanskrit-Begriff für Materie ist Prakriti. Dieser Begriff hat viele Bedeutungsebenen. Es bedeutet auch 'Natur' - nicht allein die sichtbare Natur, sondern die ursprüngliche 'Natur der Dinge'.

Hier kommen drei Begriffe herein: Sattva - Rajas - Tamas:

  • Sattva - die Eigenschaft der Harmonie, des Friedens, Licht (Farbe weiß)
  • Rajas - Energie, Bewegung, Aktivität (rot)
  • Tamas - Dunkelheit, Trägheit, auch Stagnation bzw. Stabilität (schwarz).

Die Kapitel 14, 15, 17 und 18 der Bhagavad-gita beinhalten eine Reihe Beschreibungen dieser drei Gunas.

So ist eine Person mit einem friedvollen, harmonischen Charakter eine sattvische Person. Eine Person mit auffälligem Auftreten, viel gestikulierend, ist eine rajasische Person. Eine träge, nicht sehr intelligente Person und dgl. ist eine tamasische Person.

Die Absicht in der Meditation ist, sich selbst zu verfeinern.

Die gesamte Materie - personell wie universell - ist eine Kombination dieser drei Faktoren. Im Universum siehst du an manchen Orten mehr Licht - an anderen mehr Stagnation und Schwere. Das Erdelement ist vorwiegend tamasisch - Wasser ist mehr rajasisch und sattvisch - Feuer ist nur sehr wenig tamasisch, jedoch rajasisch und sattvisch - etc. In dieser Weise werden alle Bestandteile des Universums von diesen drei Qualitäten her betrachtet, als verschiedenartige Kombinationen dieser drei Qualitäten.

Und so ist es auch mit der Persönlichkeit:

  • einige Aspekte des Körpers sind tamasisch - andere sind rajasisch bzw. sattvisch
  • genauso ist es mit dem Geist, unseren Einstellungen und der Art, wie wir sprechen.

Die Absicht in der Meditation ist, sich selbst zu verfeinern, sich allmählich vom Tamasischen und Rajasischen zum mehr Sattvischen zu bewegen, und schließlich darüber hinaus.

Prakritis ursprüngliche Form bevor das Universum entsteht, wird als ein Zustand vollkommener Ausgeglichenheit beschrieben. Die Yoga-Philosophie besagt: am Anfang war Ausgeglichenheit, und dann kam das Chaos. Das Chaos ist dieses Universum.

Der Zustand, in dem Prakriti ein reines Energiefeld ist - wird in den alten Texten beschrieben als: 'Es gab keine Existenz oder Nichtexistenz, kein Licht und keine Dunkelheit' - etc.

Um etwas messen zu können, z.B. Licht versus Dunkelheit, muss ein Ungleichgewicht bestehen. Der ursprüngliche Zustand ist ein Zustand des Gleichgewichts, der völligen Ausgeglichenheit, in dem Sattva, Rajas und Tamas einander neutralisieren. Solange sich also diese drei Qualitäten nicht zeigen, wird es als nichtmanifester Zustand der Materie bezeichnet.

Gemäß der Yoga-Philosophie versetzt das 'Eine Bewusste' (die Bewusstseinsenergie, das göttliche Sein - wie immer man es nennen möchte) Prakriti in Bewegung. In den Gunas entsteht ein Ungleichgewicht. Diese erste Bewegung bildet den Keim für sämtliche Bewegungen innerhalb des Universums - 'Prakriti erwacht'.

Doch im traditionellen Verständnis manifestiert sich nur ein winziger Bruchteil von Prakriti. Aus der Ur-Prakriti wird ein kleiner Teil in Bewegung versetzt, und daraus formt sich das Universum.

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